Dunkles Schwesterherz

Ich habe mein Buch Dunkles Schwesterherz stilistisch und inhaltlich überarbeitet und im Dezember 2023 bei Amazon hochgeladen. Geholfen hat mir dabei Stephanie von lektorat_lieblingssatz.

Prolog

Sie steht neben mir und ich halte ihre Hand. Sie fühlt sich weich an, so zart, als ob es nichts Wohligeres gäbe. Es ist ein schöner Nachmittag im Sommer. Die Wolken ziehen gemächlich am Himmel und die Sonnenstrahlen scheinen auf uns herunter, manchmal verdeckt eine der Wolken die Sonne und es gibt einen kurzen Moment, in dem es sich kühl anfühlt. Mutti hat die Kamera auf uns gerichtet. Sie möchte ein Foto von uns beiden machen und ich gebe mir die größte Mühe und zeige meine Zähne, dabei streiche ich die langen Strähnen aus dem Gesicht.

Charlotte sieht ganz danach aus, als ob sie schlechte Laune hätte, sie löst ihre Finger aus meiner Hand und geht, ohne etwas zu sagen, weg. Mutti und ich rufen ihr hinterher, doch sie läuft weiter, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Mutti wendet sich verärgert ab, geht ins Haus und mir fällt nichts Besseres ein, als durch den Gemüsegarten zu streunen und von den Schoten zu naschen. Die Erbsen sind dick geworden und sicherlich werden einige von ihnen noch praller werden. Ich pflücke eine, öffne sie und pule eine grüne Kugel heraus, dann stopfe ich sie mir in den Mund.

Ich gehe in Richtung der Felder. Charlotte und ich durchstreifen oft das Weizenfeld, auch wenn wir das nicht dürfen. Es ist verboten, darin zu spielen. Von Weitem sehe ich ihre blonden Haare, die wie meine geschnitten sind – halblange Haare und einen Pony, der über die Augenbrauen reicht. Ich erkenne ihre Stupsnase und die kurzen Beine. Sie hält einen Stock in der Hand, den sie über den Boden fahren lässt, damit malt sie Bilder in die trockene Erde. Es sieht nach Kreisen aus, doch sicherlich hat die Form eine andere Bedeutung. Vielleicht soll es die Sonne oder eine der Wolken darstellen? Charlotte hat schon immer viel Fantasie gehabt, sie malt gern Bilder, auf denen Häuser, Wiesen und Wälder zu sehen sind.

Um sie herum tänzelt ein grauweißes Kätzchen. Ich liebe Katzen über alles, ich mag das Schnurren und das Entlangstreichen an den Beinen, das weiche Fell und die Schnurrhaare, die sich lang zu den Seiten ausstrecken. Katzen sind besondere Wesen. Manchmal denke ich, sie wären aus einer anderen Welt. Wenn ich die Tiere vom Hof auf den Arm nehme und sie mir ihr Köpfchen entgegenstrecken, bin ich glücklich.

Charlotte stupst das Kätzchen mit einem Stock. Sie drückt das Stockende immer wieder an den kleinen Körper. Das Kätzchen versucht auszuweichen, springt zur Seite. Es ist ein Spiel, geprägt von Neugier und Abneigung. Ich denke mir erst nichts dabei. Als ich sehe, dass sie einfach nicht aufhört, werde ich wütend. „Lauf weg“, sage ich, aber das dumme Kätzchen versucht mehr erstaunt als entsetzt, dem Holz auszuweichen.

Ich weiß, dass sie mich aus den Augenwinkeln schon längst gesehen hat. Plötzlich hebt sie ihren Arm und der Stock saust mit dem dicken Ende direkt auf die kleine Katze. Das Tier liegt wimmernd am Boden und seine Beine zucken lautlos. Das Holz kracht erneut auf den geschundenen Körper und ein abscheuliches Geräusch fährt durch die Stille. Es knackt kurz wie Brennholz, das anfängt zu lodern. Knack, knack. Eine Sekunde voller Schmerz. Das Blut kriecht aus dem Kopf des Tieres, fließt auf den Boden und vermischt sich mit den Kieselsteinen und der Erde. Der Körper ist zerschmettert und am schlimmsten sind die Augen, die sich platt in die Augenhöhlen einfügen.

Wütend schubse ich Charlotte zur Seite. Sie kann das Gleichgewicht nicht halten, fällt hin und ihre linke Hand landet auf dem blutigen Knäuel. Angeekelt steht sie auf, wischt die verschmierte Hand über das unterste Ende ihres T-Shirts und kommt mit langsamen Schritten auf mich zu. Um uns herum herrscht eine eigentümliche Stille, kleine Wölkchen ziehen am Himmel, die Sonne brennt auf der Haut und es fühlt sich an, als wäre die Zeit stehen geblieben. Sie blickt mich mit einer Mischung aus Leidenschaft und Hass an und sagt, dass ich die Katze umgebracht habe.

Ich schüttle den Kopf.

Ihre ganze Wut liegt in diesem einen Satz: „Du hast die Katze umgebracht.“ Ich zucke zusammen und trete einige Schritte zurück.

„Ich habe selbst gesehen, wie du das Kätzchen …“, sage ich.

Charlotte dreht sich um und geht, ihre Kinderbeine stampfen schwer über den Boden. Mit ihren zehn Jahren wirkt sie wie eine der Bäuerinnen, die bei der Ernte helfen.

Ich hebe den toten Körper vom Boden auf und trage ihn zum Rand des Kornfeldes, dort grabe ich ein Loch und lege ihn hinein, lasse die Erde sanft auf das Fell rieseln und mit den Füßen schiebe ich die groben Klumpen hinterher, bis nichts mehr zu sehen ist. Nach einer gefühlten Stunde gehe ich den Feldweg zurück.

Der Weizen rauscht im Wind, dunkle Wolken ziehen auf und ich laufe langsam den Weg entlang. Das alte Bauernhaus taucht im Dunkel der Regenwolken auf, es sieht mächtig aus. Mutti erwartet mich schon. Sie steht regungslos wie eine Statue und mit einem eisernen Blick mustert sie mich. Unsicher stecke ich die Hände in die Hosentaschen. Es fühlt sich komisch an. Ich habe es nicht getan, ich bin nicht die Verbrecherin. Die ersten Tropfen fallen sanft, dann werden sie stärker. Der Sturm ist angewachsen, die Äste bewegen sich, werden hin und her gepeitscht, es donnert.

„Jana, zeig mir deine Hände!“, fordert sie mich auf.

„Sie sind nur schmutzig“, antworte ich. Ich ziehe die Hände aus den Taschen und strecke sie ihr wie eine Schwerverbrecherin entgegen.

„Drei Wochen Hausarrest.“

Ohne ein Wort von mir zu geben, renne ich ins Haus. Inzwischen bin ich völlig durchnässt, die Sachen kleben und die Tropfen laufen an den Beinen herab. Ich gehe die Treppe nach oben. Im Flur steht Charlotte. Sie ist still, gibt keinen Ton von sich. Ich öffne die Tür zu meinem Zimmer, stürze mich auf das Bett und vergrabe das Gesicht im Kopfkissen. Ich möchte weinen, aber ich kann nicht.

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