Gespräche mit dem Kleenen


Schauspielkunst

Der Kleene sitzt auf dem Großvaterstuhl, hält den Arm gewinkelt, stützt den Kopf ab. Ein Zeichen für Müdigkeit? Ich stelle ihm die Milch vor die Nase. „Schön, warm“, locke ich ihn.

Er guckt, hebt das Vorderkinn. „Will ich nicht, da ist Haut dran.“

„Ist nicht, hab ich schon durch das Sieb gegossen“, entgegne ich.

„Trotzdem Mama, ich will nicht. Ich will lieber kalte Milch trinken.“

„Die ist aber nicht gut.“

„Ist mir egal.“

Ich hole aus dem oberen Schrank ein Glas. Tonlos greife ich mir den Tetrapack Milch und gieße ein. Kalte Getränke schaden, höre ich die eigene Mutterstimme im Ohr. Gibt es Beweise, Gutachten, wissenschaftliche Forschungen? Mir fällt nichts ein, also verwerfe ich die böse; böse Theorie.

Karla, die allerbeste Improvisationstheaterfrau fällt mir augenblicklich ein. Die hätte bestimmt eine wunderbare Erklärung. Letztens sprach sie mit mir über ihr neues Theaterprojekt mit Kindern. Improvisationstheater mit Kindern. Das wollte sie gern ausprobieren. Natürlich bestärkte ich sie, sagte, dass ich mit dem Kleenen komme.

„Du weißt, du…“, beginne ich die Einleitung in das Thema, die Verklickerung, die Annäherung an etwas Neues.

Keine Reaktion.

„Ich spiele doch Theater und ja, ich denke das wäre auch echt was für dich. Meine Kursleiterin will was für Kinder machen und ja da würde ich dich gern anmelden“, erkläre ich ihm die Idee.

Er steht auf, reißt den Arm nach oben, verneigt sich. „Oh ja, ich bin der beste Schauspieler weit und breit. Hier, guck mal der Ritter.“

„Genau, los zeig mir den Ritter“, sporne ich ihn an, johle, klatsche ich in die Hände.

„Ich bitte um Ruhe Mama“, erhöht er die Tonart. „Meine Dame, seien sie herzlich willkommen. Ich bin Ritter Kunibert. Ich komme von weit her. Ich bin sehr berühmt.“ Dann beißt er sich auf die Lippen, überlegt, dreht die Augen. Leise, als ob ein riesiges Publikum vor ihm sitzt, flüstert er: „Was soll ich noch sagen?“

„Keine Ahnung“, zucke ich mit den Schultern. „Vielleicht wie viel Besitz der Herr Ritter hat, Ländereien, Schweine, Kühe, Sklaven, Raumschiffe.“

„Aber Mama“, wendet er empört ein. „Ein Ritter lebte in früherer Zeit. Da gab es noch keine Raumschiffe. Da haben die Menschen nichts gewusst. Keine Ahnung hatten sie damals.“

„Stimmt. Recht hast du. Das war nur ein doofer Scherz“; lache ich. „Aber hör zu Kommander Cody kannst du auch deine Stimme verstellen? Das brauchst du im Theater.“

Ohne eine einzigen Atemzug, schlägt er die Hacken zusammen, legt die Arme an, öffnet den kleinen Mund zu einem Teufelsbrüllen. „Kommander Knuddel, treu zu Diensten. Was kann ich für sie tun.“

Ich erschrecke, bin überrascht, zucke zusammen. „Danke der Nachfrage Kommander Cody. Heute liegt das Ausräumen der Brotdosen und der Trinkflasche an. Des Weiteren befehle ich die Herausgabe des Hausaufgabenheftes. Sind Unterschriften zu leisten Kommander Cody?“

„Kommander Knuddel, eine Unterschrift im Mathetestheft“, streckt er sich, schreit mit Inbrunst mir die Ohren ab. „Wird sofort erledigt“, hebt er die Füße in Richtung Kinderzimmer.

Ich höre es rascheln, kramen, trampeln. Zurück ist er, reicht mir das winzige Heft. „Schon wieder eine Arbeit. Ihr schreibt ja echt viele, fast jeden Tag oder?“, zücke ich den Stift und signiere ängstlich.

„Nicht jeden Tag Kommander Knuddel und nun gehe ich spielen. Sind sie damit einverstanden?“

„Ja, Kommander Cody, sie können abtreten, ach und übrigens können wir jetzt wieder normal miteinander reden?“

„Wenn du unbedingt willst“, klingen die Stimmbänder genervt.

„Ja, das wäre mir ganz lieb. Strengt doch sehr an. Guck ich bin schon ganz heißer“, krächze ich.

„Ich aber nicht. Ich kann das.“

„Ja, du bist auch ein Kind. Du bist flexibel, du hast deinen Körper im Griff.“

„Und du bist alt und gebrechlich.“

„Danke für das Kompliment. ABTRETEN SOFORT“, brülle ich beleidigt.

Der Kleene nimmts gelassen. „Ist ja schon gut, reg dich nicht gleich so auf. Ich gehe ja schon“, tippeln die kurzen Beine ins Kinderzimmer.


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