Ding/ Dinglichkeit


 „Was hast du denn da für ein Dingsda?“ „Du meinst die kleine pinkbetupfte Kosmetiktasche?“ „Ähmm ja, genau.“ Sie sieht ein wenig anrüchig aus, darum mag Suse ihren Namen nicht nennen oder sie hat geradewegs ein sogenanntes Black out. Ding, Dingsda, Dingsdabums sind Fachwörter in der deutschen Umgangssprache. Vertont werden sie im Dialekt. Dadurch bekommt die Bedeutung und Nichtbedeutung ihre spezielle Note. Das heißt, die meisten wissen was gemeint ist wenn sie am Küchentisch sitzen und das Marmeladenglas auskratzen und das eigene Kind mit monotoner Stimme spricht. „Gib mal das Ding rüber.“ Aha. Die Gedanken schweifen hin und her, kreuzen sich und während das passiert hat der Sprössling das Marmeladenglas schon in der Hand, obwohl er eigentlich nie Marmelade isst. Innerhalb der Kommunikation ist das ein schöner Weg, sich nicht direkt ausdrücken zu müssen. Ist es Faulheit, innere Struktur, Angst vor der direkten Konfrontation oder einfach nur Ablenkung? Das Ding, oder auch Dinge haben einen Namen! Werkzeuge, technische Geräte sind für die meisten Frauen eine Herausforderung. Im Baumarkt fällt es schwer sich korrekt zu artikulieren. Männer schwächeln verbal gesehen mit weiblichen Konsumartikeln und Kücheninventar. Es ist nicht immer einfach Kajalstift oder Lippgloss zu sagen. Darum ist das Wort „Ding“ auf verbaler Ebene, als Solches von großartigem Nutzen für Frauen und Männer und so gesehen für die gesamte Menschheit. Was Frauen und Männer nicht nur auf dem Tablett der Kommunikation vereint ist das „Ding“ selbst. Das Ding wird normalerweise mit Penis betitelt. Innerhalb einer lustvollen und freudvollen Begegnung kann das „Ding“ im Zusammenspiel mit der weiblichen Vagina Freude und Befriedigung schaffen. Das „Ding“ kann aufsteigend und feurig sein wie eine Silvesterrakete. Schafft es das „Ding“ hoch hinaus, was nicht immer der Fall ist, kommt es zu einer vergleichsweise raketenähnlichen Reaktion die nach Ausbruch, zur Erschlaffung, Ermattung oder völliger Erschöpfung führt.  Doch bevor es überhaupt zu diesem gesamten Szenario kommt, steht die Begegnung. Eine Frau trifft einen Mann, oder auch umgekehrt. Sie mögen sich. Sie finden sich attraktiv und sie wollen Sex. Sie wollen es und sie wollen es nicht. Darum geben Mann und Frau  in den meisten Fällen vor, sich Zeit zu lassen, sich kennen zu lernen, Kaffe zu trinken, zu plaudern und irgendwann wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist Sex zu haben. Es ist soweit. Gedanken oder Gedankengänge vollziehen sich. Die Frau, der Mann oder alle beide möchten Sex. Es gibt eine Verabredung. Sie und er erleben einen beschaulichen Abend mit einem Glas Wein, Klaviermusik und vertrauten Blicken. Beim Verlassen des Lokals legt er gekonnt seinen Arm um ihre Schultern und schaut ihr dabei tief in die Augen. Sie küssen sich. Beide sind von der Zweisamkeit inspiriert. Sie wollen mehr. Sie einigen sich anhand verbaler Kommunikation auf die Wohnung der Frau. Sie entkleiden sich und springen salopp gesagt in die Kiste. Ein Gedanke, eine Vorstellung verbunden mit naturgegebener Intuition bringt das Ding des Mannes in Funktion. Das Ding steht und dringt in die gewünschte Umgebung, in die Vagina der Frau ein. Einher geht ein Spüren von Wärme und Druck. Der Gedanke mit ihr oder ihm intim zu verkehren, hat sich in Energie umgewandelt und gleichzeitig entsteht eine Stofflichkeit, Materie. Durch den Samen des Mannes der im richtigen Moment auf eine Eizelle trifft, kann unter günstigen Bedingungen wie Sonne im dritten Haus oder Mond in der richtigen Spur, Leben entstehen. Die Frau empfängt, sie ist schwanger. Ein Kind wächst heran. Von besonderer Bedeutung ist hier die Vermeidung von Verhütungsmitteln. Werden solche benutzt vereiteln sie das Werden vom Leben und der Dinglichkeit. Also, ein Gedanke gemischt mit Emotion, und Bedürfnissen vollzieht sich zu einer Handlung. Innerhalb dieser wird Energie freigesetzt und gleichzeitig Energie umgewandelt in eine Stofflichkeit bzw. Dinglichkeit. Der richtige Zeitpunkt und Ort spielen dabei eine Rolle. Die Stofflichkeit oder Dinglichkeit kann im besten Fall Leben sein, ein Kind. Das schönste und großartigste Produkt/ Ding. Genial! Doch was ist mit den Produkten bzw. Dingen, die das Baby, Kind begleiten, wenn es dann geboren ist? Der Markt ist groß. Es gibt Windeln in verschiedenen Größen mit Bärchen oder Schmetterling bedruckt. Spielzeug aus Bioholz oder Plastik, Brei aus dem Bioglas oder normal. Die Produktpalette ist groß und beeindruckt Kinder wie Erwachsene. Es sind Dinge die benötigt werden. Ebenso gibt es Dinge die nicht benötigt werden. Diese werden jedoch für ihre Nutzlosigkeit geliebt. Die nutzlosen Dinge bestimmen den Alltag. Sie sind überall. Fast jeder hat sie, Figuren auf dem Regal, Zitrus im Klo für den guten Geruch, Computer zur Aufarbeitung der Wissenslücken und das Handy um auch die Freundschaften im hintersten Eck der Welt wieder aufzufrischen. Diese Dinge machen Dinglichkeit. Die materielle Welt hat die Menschen in der westlichen Welt eingenommen. Dinge verschaffen Emotionen. Gott sei Dank gibt es Dinge, denn die Religion ist fast abgeschafft. Die letzten Ordensbrüder haben Schwierigkeiten die Feldsteine zur Seite zur schieben, das Handy liegt obenauf und blinkt teilnahmslos. Doch der Mensch vernarrt in alles Blinkendes was irgendwie dem Antlitz der Sonne ähnelt greift danach. Der Feldstein ist vergessen. So ist es. Keine Religion hält, insbesondere wenn sie auf stetige Dogmen und Frauenfeindlichkeit gebaut ist. Dank sei,  der neuen Religion der Dinglichkeit. Kritisch gesehen ist es eine Religion der Vergänglichkeit und der scheinbaren Bedürfnisbefriedigung. Hat sich eine Frau ein neues Paar Schuhe gekauft, möchte sie nach einem Jahr ein zweites Paar haben. Warum? Eins reicht. Die Frau soll über die Straße gehen können, ohne sich die Füße an Glasscherben zu schneiden. Doch die Frau von heute ist nicht zufrieden mit einem Paar sondern möchte ein zweites oder sogar zehn. Das Ding ist gleichzeitig Besitz. Die Frau fühlt sich gut, sie sieht ihrer Meinung und der Meinung der ungefragten Mitmenschen gut aus in den blue schimmernden High heels. Auf orthopädischer Ebene gesehen, würde eine andere Bewertung erfolgen. Es geht um Besitz, um Sehen und Gesehen werden. Das Außen, die Mitmenschen, die Gesellschaft mit ihren Götzen der Dinglichkeit sind  von Bedeutung. Das „Ich“ ist zweitrangig. Zur Ruhe kommen, glücklich sein und gesund fühlen, auch wenn nichts da ist, kein Mensch, kein Ding. Das ist nicht möglich. Glück entsteht wenn das Handy klingelt oder piept. Eine Festplatte ist kaputt gegangen. Die Photos der letzten drei Jahre sind weg. Die junge Frau erlebt einen inneren Verlust, einen körperlichen Schmerz. Es sind Erinnerungen, ein Teil ihres Lebens. Die Festplatte des Computers war immer in Ordnung. Sie hatte noch nie Probleme gehabt. Einmal mit einem Virusprogramm, aber sonst alles ok. Und dann fällt der Festplatte ein ihr stumpfes materielles Leben, welches besetzt ist mit Liebe, Freundschaft und Tränen einfach von heute auf morgen zu beenden?

Die Dinge versetzen die Menschen in einen Zustand von Verwirrung. Eine scheinbare Bedürfnisbefriedigung findet statt. Nach kurzer Zeit erneutes Verlangen nach technischen Geräten, Unterhosen und Porzellanengeln. Und dann, was bleibt. Der Porzellanengel kann vor Staub nicht mehr aus den Augen schauen. Und überhaupt, vor ihm hat sich ein Armee von kleinen Porzellankatzen aufgebaut. Es geht nicht nur um ein Ding, sondern um ein Anhäufung von Dingen. Manche deklarieren diese Tätigkeit als Sammelleidenschaft. Im eigentlichen Sinne handelt es sich um Besitztum und um Angeberei. Die da draußen sollen sehen was ich habe und dementsprechend wer ich bin. Kann ich mit Dingen mein Ich nach außen transportieren? Ist ein Mann mit Krawatte ein Sparfuchs oder eine ausgewiefte Rampensau? Ist eine Frau mit locker hängenden Jeans und Hosenträgern ein echter Star in Sachen Intelligenz, einfach nur eine Schlampe oder Beides. Dinge kleiden den Menschen, den Körper und das Umfeld. Sagen sie etwas über den Charakter, den Gefühlszustand und die Einstellung des Menschen aus? Die Anhäufung von Dingen lässt Vermutungen über einen Menschen zu, doch Wesenszüge und besondere Eigenheiten bleiben im Verborgenen. Es gibt kein Ding, welches momentane Befindlichkeiten sichtbar macht.  Warum sind Menschen trotzdem heiß darauf zu besitzen? Irrtum, falsche Erziehung, Werte die uns von der Industrie und den Medien vorgegaukelt werden? Vor einigen Jahren gab es die schönsten Malboro Werbungen. Die Typen die rauchten waren echte Roadrunner und dazu noch echte Männer die das Abenteuer und die Gefahr liebten. Wer als Mann wollte nicht so sein? Und da nicht jeder im vielbevölkerten Deutschland sein Pferd im Garten stehen hatte, ging er den Weg des geringsten Widerstandes. Er nahm den Weg zum nächsten Automaten. Durch oder mit Dingen kann Mann oder Frau sich mit anderen Menschen identifizieren. Bewunderung, Begeisterung für das Tun anderer. Der Herta BSC Schal verbindet den Herta Fan mit den anderen Fans und den Spielern. Da gibt es auch noch das Prinzip der Gemeinsamkeit. Menschen sind alles in allem keine Einzelgänger. Die Sippe in grauer Vorzeit war Bestandteil des Überlebens. So schlimm ist es heute nicht mehr, aber durch Dinge wie den Herta BSC Schal symbolisiert die gemeine Frau oder der gemeine Mann seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe, in diesem Fall die Fangemeinschaft von Herta BSC. Dinge sind Symbole für Zugehörigkeiten, für besondere Positionen und für Gefühle. Einsamkeit, Traurigkeit, Wut. Dinge sind für vieles da. Dinge kompensieren. Frauen gehen Schuhe kaufen wenn der Liebste sie verlassen hat. Mit den neuen Dingen, die sagen „He, wir sind da. Und mit uns kannst du dich gut fühlen“, verschaffen sich Frauen kurzzeitig ein Gefühl von: „da gibt es ja noch was anderes Schönes.“ Gleichzeitig tritt der Effekt ein, dass sich wiederum Männer nach gut beschuhten Frauen umschauen. Die Männer reagieren bei Missständen und einhergehenden negativen Gefühlen mit „Ich wollte mir schon immer den I-Pod zulegen.“ ……oder ist beides nur Klischee? Auf alle Fälle lässt sich sagen, Dinge kompensieren negative Gefühle. Die Positiven? Sie werden durch den Ankauf von Dingen begleitet, unterstützt oder auch verstärkt. Hat Frau, Mann eine neue Bekanntschaft gemacht, geht sie oder er zu Rossmann zweckbestimmt Kondome shoppen. Doch sieht Mann oder Frau die Musik CD von der oder sie weiß, das sie von der neuen Liebe über alles geliebt wird, heißt es noch einmal in die Gürteltasche greifen. Moneten raus, die muss gehört werden. So macht das Leben Spaß. Ein Auf und Ab. Das Leben eine Eieruhr oder ein Hamsterlaufrad? Dinge um uns, die den Alltag bestimmen, Dinge die Emotionen wecken und Dinge oder Dinglichkeit die wir nie kennenlernen werden. „Warum gehört die Nachbarin nicht zu denen, die dieses Jahr eine Kreuzfahrt macht?“ Schade. Die Dinglichkeit hat sie noch nicht erreicht. Vielleicht nächstes Jahr. Vielleicht gehört sie auch zu der Fraktion die konservativ und traditionell ist und nicht zu viele Dinge an sich heran lässt. Die Werbung für die Kreuzfahrt zu den Untiefen der Donau, kommt geradewegs in den Müll. Darum keine Information und keine Gedanken wie, „Das wäre doch was für mich.“ Keine Gekreusch und Gefleusch von Gedankengängen, Entscheidungen und Willensbekundungen. Entsteht Dunkelheit wenn ich mich einer Sache entziehe?- Nein, ein anderes Ding zieht meine Aufmerksamkeit  in ihren Bann. Da ist nichts mit Dunkelheit und Leere. Wende ich mich ab von den vergilbten Briefmarken, steht neben mir eine Tasse, die aufgeräumt werden will. „Bring mich zur Spüle und mach mich glänzend fein!“, flüstert sie mir zu. Gibt es denn überhaupt Leere? Auch wenn ich mich ausruhe und nichts in den Händen halte, denke ich oder träume. Ist das nicht alles Dinglichkeit? Meditation, ich verschanze mich in den tiefsten Räumen meines Seins ohne etwas zu tun. Ich atme und bin frei von den Dingen. Was heißt das frei zu sein. Ich denke nicht an den Tagesablauf von morgen oder zu welchem Bäcker ich heute noch gehen werde. Ich denke nichts. Ich bin verbunden mit mir selbst ohne durchkreuzende Gedanken. Oder etwa doch nicht. Sie schießen ein, wie ungelebte Spasmen. Ich denke mich hin zu dem leeren Raum. Was ist? Der hoch wohl gepriesene Raum der Leere ist doch voll, mit dem Nichts, dem Sauerstoff oder der Energiebahn meiner vorangegangen Gedanken? Gase, Energiebahnen, Zellteilungen und noch so Vieles ist durchzogen von Dinglichkeit von Sein oder Leben oder anders betrachtet, Gase, Energiebahnen und Zellteilungen sind das Leben selbst. Es wird mir klar, auch der kleine Osterhase mit der gelben Schleife um den Hals auf meinem Schreibtisch ist voll von Leben. Er spricht nicht und bewegt sich nicht, doch ist er transformierte Energie und außerdem ist er aus Holz. Das heißt er war ein richtiges Lebewesen. Er war Baum bzw. war er Teil davon und wird es immer sein.  „Schau dir das Dingsda genau an. Es ist eine meiner besten Errungenschaften.“ Ich erläutere Suse das Ding pinkbetupfte Kosmetiktasche. Ich öffne den Reißverschluss und hole die darin sich befindenden Dinge nach außen. Kajalstift, Lippgloss, Kondome für das Ding selbst, um momentane Dinglichkeit zu verhindern und eine Porzellankatze in Miniformat. Ich schüttel und rüttel. „Da siehst du es. So viel ist darin.“ Sie sieht mich ungläubig an. „Da, die Leere selbst, den Sauerstoff, die Erinnerungen, und die Gefühle wie Liebe und Trauer. Zu guter letzt halte ich Suse die Kosmetiktasche an die Nase. Eine Mischung aus Narcissio Rodrigez und alter Besenkammer schwillt ihr entgegen und lässt sie abwenden. „Naja“,  sagt sie. „Und das nennst du Dinglichkeit?“ Ich nicke ihr ermunternd zu.

Teilnahme an der  „exihibition Ding/ Dinglichkeit“ gas station Berlin


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